Hören

Hören - Sinn des Lebens

format_quoteEin intakter Hörsinn ist entscheidend für unsere Kommunikation und eine aktive Teilhabe an der Gesellschaft. Wer eine Hörminderung nicht versorgen lässt, verzichtet auf Lebensqualität und erhöht das Risiko für Folgeerkrankungen wie Depression oder sogar Demenz. Hören verbindet uns mit anderen Menschen, lässt uns Musik und die Klänge der Natur genießen. 
Der Hörsinn ist daher einer der wichtigsten – wenn nicht der wichtigste – „Sinn des Lebens“.

Hören ist mehr als Schallwahrnehmung

Das Hören ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die unser Körper rund um die Uhr leistet. Das Gehör wandelt permanent Schwingungen der Luft zuerst in akustische mechanische, dann in elektrische Signale um, die unser Gehirn zuordnet und interpretiert. Dabei nimmt das Hören verschiedene Funktionen wahr, zum Beispiel die Lokalisationsfunktion: Je nachdem, aus welcher Richtung ein Geräusch stammt, wird es von einem Ohr etwas früher wahrgenommen als von dem anderen. Aus dieser Zeitdifferenz errechnet unser Gehirn blitzschnell die Richtung der Geräuschquelle. Besonders ausgeprägt ist diese Funktion in der Tierwelt beispielsweise bei Fledermäusen, die ihr Gehör als Radar zur Ortung von Gegenständen nutzen.

Schall
Der Weg des Schalls vom Außen- zum Innenohr. Dort werden mechanische in elektrische Signale umgewandelt.
Bild www.ihr-hoergeraet.de

Schall pflanzt sich fort

Über verschiedene Stationen muss der Schall den Weg vom Außenohr zum Hörnerv zurücklegen: Schallwellen regen die Ohrmuschel an, welche die Schwingungen wie ein Trichter aufnimmt und durch den äußeren Gehörgang an das Trommelfell weiterleitet. Dieses empfindliche Häutchen gerät dadurch selbst in Schwingung, die es wiederum an die Gehörknöchelchen überträgt. Hier, am Übergang zwischen Trommelfell und der filigranen Knochenkonstruktion – bestehend aus Hammer, Amboss und Steigbügel – wird der Schalldruck um den Faktor 20 verstärkt.

Interner Klangverstärker

Die Verstärkung ist notwendig, damit die mechanischen Signale durch die träge Flüssigkeit im Innenohr bis zur Gehörschnecke – der Cochlea – vordringen können. Der Faktor 20 kommt durch den Größenunterschied zwischen Trommelfell und Steigbügel-Knöchelchen zustande: Gemäß der physikalischen Formel Druck gleich Kraft durch Fläche (p = F/A) vergrößert sich der Druck bei gleichbleibender Kraft, je kleiner die Fläche wird, auf die der Schall trifft. Da die Fläche des Steigbügels etwa zwanzigmal kleiner ist als das Trommelfell, wird der Schalldruck um das Zwanzigfache größer.

Anatomie
Fortsetzung der Hörbahn: Vom Innenohr zum Gehirn
Bild www.ihr-hoergeraet.de

Elektrische Impulse aus mechanischen Schwingungen

Der bewegliche Fuß des Steigbügels überträgt den verstärkten Schalldruck an die Cochlea. Im Inneren dieses Schneckenhauses befindet sich eine Membran, die in Schwingung versetzt wird und dadurch in der sie umgebenden Flüssigkeit Wellen auslöst. Hier sitzen Rezeptoren, die auch als Haarzellen bezeichnet werden. Sie nehmen die Wellenbewegungen auf und übersetzen sie in elektrische Impulse, die der Hörnerv an das Gehirn weiterleitet. Der sogenannte auditive Cortex, das Hörzentrum des Großhirns, entschlüsselt die Reize. Er unterscheidet Straßenlärm von Musik und versteht, wenn jemand mit uns spricht.
So vielfältig und komplex wie der Weg des Schalls sind auch die Funktionen, die das Hören für uns erfüllt. Sie umfassen weit mehr als die bloße Wahrnehmung von lautem oder leisem Schall. Betrachten wir im Folgenden einige Funktionen etwas näher: Die Ortungs- oder Lokalisationsfunktion, die Warnfunktion und die (Gehirn-)Aktivierungsfunktion.

Ortungsfunktion 1: Richtungshören

Die Lokalisation von Schallquellen erfolgt anhand der Bestimmung ihrer Richtung (durch das Richtungshören) und ihrer Entfernung (durch das Entfernungshören) zu unseren Ohren.
Das Richtungshören wird ermöglicht, da wir über zwei Ohren verfügen, die sich – im Gegensatz zur Schallquelle – nicht an ein und demselben Ort befinden. Daher erreichen Schallwellen, die zum selben Zeitpunkt von einem Ort übertragen werden, unsere Ohren nicht gleichzeitig. Vor allem bei der Bestimmung der Richtung sogenannter Impulsklänge, z.B. einem Knall, spielt die Verzögerungszeit eine große Rolle:
Ertönt z.B. ein lauter Knall in unserer rechten Gesichtshälfte, erreichen die Schallwellen zuerst das rechte – und mit einer Verzögerung im Millisekundenbereich – etwas später das linke Ohr. Diese minimale Differenz genügt dem Gehirn um zu erkennen, wo sich die Schallquelle befindet.

Schallquelle
Die Bestimmung von Richtung und Entfernung einer Schallquelle sind wichtige Funktionen des Hörens 
Foto Robin Higgins

Ortungsfunktion 2: Entfernungshören

Als Entfernungshören bezeichnet man die abschätzende Bestimmung, wie weit entfernt sich eine Schallquelle vom Hörenden befindet.
Während unsere Fähigkeit zum Entfernungssehen mit zwei nebeneinander liegenden Augen sehr gut ausgebildet ist, vermag unser Ohr die Entfernung zu einer Schallquelle nur mangelhaft zu bestimmen. Anders als beim Richtungshören werden beim Entfernungshören keine Signaldifferenzen genutzt, also keine Verzögerungen wie beim beidohrigen (binauralen) Richtungshören. Hilfreich ist uns vielmehr der Vergleich des Signals mit erlernten Reizmustern; das heißt, am leichtesten fällt uns die Entfernungsbestimmung von uns bekannten akustischen Signalen.
Wenn uns z.B. die Lautheit einer bestimmten Schallquelle (Schuss, Trompetensignal, menschliche Stimme) aus einer bestimmten Entfernung bereits vertraut ist, können wir anhand der geringeren Lautstärke eines solchen vertrauten Signals abschätzen, in welcher Entfernung sich seine Schallquelle befindet. Bei unbekannten Schallquellen fällt uns das schwerer, da uns der Vergleich fehlt.
Eine weitere Hilfe beim Entfernungshören ist die Tatsache, dass hohe Frequenzen stärker von der Luft absorbiert werden als tiefe. Das Klangspektrum eines akustischen Signals wird daher in Abhängigkeit von der Entfernung des Hörenden zur Schallquelle verändert. Mit zunehmender Entfernung klingt ein Schallereignis dumpfer. Bei bekannten Schallereignissen können wir daher auch aus der Veränderung ihres Klangcharakters auf die Entfernung schließen.

Naturklang
Die Entfernung uns bekannter Klänge - wie z.B. Kirchenglocken - können wir besser einschätzen als die Entfernung unbekannter Signale
Foto Albert Häsler

Warnfunktion: Auch nachts hellwach

Anders als unsere Augen können wir unsere Ohren nicht einmal im Schlaf verschließen. Wir sind akustisch immer empfangsbereit. Dies ist der evolutorischen Warnfunktion des Hörens zuzuschreiben. Da die Augen geschlossen sind, haben sich unsere Vorfahren beim Schlafen vor allem auf ihr Gehör verlassen, um Gefahren durch Feinde, Tiere oder das Wetter zu erkennen. Daher können auch leise (potenziell bedrohende) Geräusche – etwa Schritte, das Klappen einer Tür oder Dielenknarren – vom Gehirn gezielt aufgegriffen werden und uns aufwecken. Das heißt nicht, dass diese Geräusche unbedingt laut sein müssen; unsere Ohren sind im Schlaf sogar besonders schallempfindlich. Schon Geräusche ab einem Schallpegel von 40 Dezibel, die wir tagsüber nicht als störend oder alarmierend wahrnehmen, können uns nachts wecken.

Aktivierungsfunktion: Stimulation für das Gehirn

Unser Gehirn benötigt akustische Reize, um die für das Hören verantwortlichen Bereiche „in Betrieb“ zu halten. Diese Bereiche werden als Hörzentrum, Hörrinde oder auditiver Cortex bezeichnet. Sie sind jener Bereich der Großhirnrinde, der akustische Reize verarbeitet und uns ihrer überhaupt bewusstwerden lässt. Erreichen den auditiven Cortex – etwa aufgrund einer unversorgten Schwerhörigkeit – über längere Zeit weniger oder keine Signale mehr, hat das einen Abfall der kognitiven Leistungsfähigkeit des Gehirns zur Folge. Mehr Informationen hierzu finden Sie in unseren Beiträgen über Demenz und über das Verlernen guten Hörens.
Weitere wichtige Funktionen des Hörens, die wir in anderen Beiträgen näher beschreiben, sind z.B. die akustische Wahrnehmung bestimmter Emotionen und die kommunikative Funktion des Hörens. Ganz wesentliche Bedeutung kommt dem Hören auch für die Sprachentwicklung zu. 

Testen und Versorgen – So bewahren Sie die Funktionen des Hörens

Um alle genannten – und weitere – Funktionen des Hörens zu bewahren, ist es wichtig, sein Gehör regelmäßig testen und eine Hörminderung im Bedarfsfall rechtzeitig versorgen zu lassen. Der Verlust der Funktionen des Hörens bedeutet ein höheres Unfallrisiko (Verlust des Entfernungs- und Richtungshörens), eine höhere Sturzgefahr, ein höheres Risiko der sozialen Isolation und Depression (Verlust der Wahrnehmungsfunktion von Sprache und Emotionen) und er erhöht das Risiko eines kognitiven Leistungsverfalls, der eine Demenz begünstigen kann (Verlust der Aktivierungsfunktion). Internationale Studien belegen, dass unter allen potentiell beeinflussbaren Risikofaktoren einer Demenzerkrankung die Versorgung einer Hörminderung im mittleren Lebensalter der wichtigste ist. Machen Sie daher einen Hörtest bei einem Hörakustiker und zögern Sie nicht, beim Verdacht auf eine Hörminderung einen HNO-Arzt zur Abklärung der Symptome aufzusuchen.

Gesundes Hören

Ein häufiges Missverständnis lautet, dass Hörminderung erst im Alter zum Problem wird, wenn die sogenannte Altersschwer­hörigkeit (Presbyakusis) einsetzt. Jüngste Zahlen verdeutlichen jedoch, dass die Themen Hörgesundheit und Gehörschutz alle Altersgruppen betreffen: So sind nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1,1 Milliarden junge Menschen weltweit gefährdet, durch zu lautes Musikhören schwerhörig zu werden. In den Industrieländern, so schätzt die WHO, riskiert etwa die Hälfte der Menschen im Alter von 12 bis 35 Jahren eine Schwerhörigkeit durch zu laute Geräuschpegel ihrer Smartphones und MP3-Player.

Auch in Deutschland beobachten Hals-Nasen-Ohrenärzte seit Jahren einen Anstieg der Zahl schwerhöriger Jugendlicher. Der Hörverlust im Hochfrequenzbereich bei Kindern und Jugendlichen hierzulande hat sich in einem Zeitraum von 24 Jahren nahezu verdoppelt. Fazit: Ob jung oder alt, die Vorsorge vor Schwerhörigkeit ist ein Thema für alle Generationen.

Hörgeräte und Hörimplantate

Nach aktuellen Schätzungen ist derzeit etwa jeder achte Bundesbürger hörgeschädigt, und die Tendenz ist aufgrund der zu erwartenden demografischen Entwicklung sowie zunehmender Hörprobleme bei jungen Menschen kontinuierlich steigend. Schon jetzt ist in der Bevölkerung der Anteil Hörgeschädigter weit höher als der auf andere Volkskrankheiten wie Depression, Migräne oder Diabetes mellitus entfallende. Eine Hörschädigung ist für die Betroffenen ein Handicap, das in den meisten Fällen durch Hörgeräte ausgeglichen werden kann. Die Produkte und Modelle der Hörsysteme-Hersteller sind vielfältig und individuell. Für die unterschiedlichen Anforderungen der jeweiligen Träger finden Hörakustiker das individuell passende Modell, natürlich auch im Wunsch-Design. 

Doch es gibt auch Patienten, bei denen die Hörminderung für eine Hörgeräteversorgung zu weit fortgeschritten ist. Trotz leistungsstarker Hörgeräte verstehen diese Menschen nur wenig, können nur mit großer Anstrengung telefonieren oder an Gesprächen teilnehmen. Auch Radio und Fernsehen verstehen sie trotz zusätzlicher technischer Hilfsmittel nicht. Häufig werden die Hörgeräte dann gar nicht mehr getragen, weil der Betroffene kaum einen Nutzen aus ihnen zieht. Isolation und psychische Erkrankungen können die Folge sein. 

Wenn Hörgeräte kaum oder gar nicht mehr helfen, ermöglichen Implantate einer wachsenden Zahl hochgradig hörgeschädigter bis völlig ertaubter Menschen den Zugang zur Welt des Hörens – und damit die Chance auf aktive Teilhabe am Leben. Hörsysteme ermöglichen hörgeschädigten Menschen eine signifikant höhere Lebensqualität. Bei einer Innenohr- oder Schallleitungsschwerhörigkeit beispielsweise empfiehlt sich statt konventioneller Hörgeräte ein Hörimplantat. Und selbst dann, wenn der Hörnerv direkt geschädigt ist, können Betroffene verloren gegangenes Hörvermögen mit modernen Implantat-Systemen zurückgewinnen. Je nach Art und Ursache eines Hörverlusts stehen für die individuelle Versorgung verschiedene Lösungen zur Verfügung.

Hörgeräteträger haben häufig den Anspruch, ein kleines, leichtes, unauffälliges, ästhetisch ansprechendes und bequemes Modell zu finden, das ihre Hörminderung bestmöglich ausgleicht. Diesen Anspruch erfüllen Produkte aller namhaften Hersteller. Dennoch gibt es bei der technischen Ausstattung große Unterschiede.